27.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Kultur

Der Sonderling aus Prag

Die Verwandlung des Herrn K. – Zum 100. Todestag von Franz Kafka sendet Das Erste eine sechsteilige Serie über den Schriftsteller

Anne Martin
25.03.2024

Es gibt erste Sätze, die fast jeder aufsagen kann. Der Einstieg zum Roman „Der Prozess“ ist so ein Satz. „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne, dass er etwas Böses getan hatte, wurde er eines morgens verhaftet.“ Daraufhin entwirft der Autor eine klaustrophobische Situation, in welcher der Angeklagte niemals erfahren wird, was für ein Vergehen ihm angelastet wird. Bis heute gilt die Bezeichnung „kafkaesk“ als Synonym für absurde und rätselhafte Verhältnisse, für das Ausgeliefertsein an eine undurchschaubare Bürokratie.

Wer war dieser Mann, dem die ARD zum 100. Todestag eine sechsteilige Serie aus einzelnen Episoden widmet („Kafka“, 26. und 27. März, jeweils drei Folgen ab 20.15 Uhr im Ersten)? Basierend auf der monumentalen dreibändigen Biographie von Reiner Stach und dem Drehbuch des Bestseller-Autors Daniel Kehlmann geht die Serie dieser Frage akribisch nach.

Franz Kafka, deutschsprachiger Jude in Prag und Wegbereiter der Moderne, zählt heute zu den meistgelesenen Autoren deutscher Sprache. Äußerlich ein schmalbrüstiger Mann mit intensivem Blick und abstehenden Ohren, könnte man ihn auch als Sonderling abtun. Da sitzt dieser blasse Mensch am Esstisch und mümmelt jeden Bissen wie ein Hase. „Fletschern“ nennt er das, Verdauen bereits im Mund.

Dem Vater (Nicholas Ofczarek), ein patriarchaler Wüterich alter Schule, Inhaber des Galanteriewarengeschäftes Herrmann Kafka in Prag, ist dieser seltsame Sohn ein Dorn im Auge. Hauptamtlich ist Franz Kafka, täuschend ähnlich dargestellt von Joel Basman, bei der „Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt für das Königreich Böhmen“ angestellt. Hier kann er im Detail studieren, was er auch in seinen Stücken und Fragmenten zum Thema macht: die Verlorenheit des Individuums in einem übermächtigen Staat und die Einsamkeit in einer fremd gewordenen Umwelt.

Eine der eindringlichsten Szenen zeigt einen Kriegsversehrten, der in seinem Amtszimmer seine Handstümpfe in die Höhe hält und um Arbeit bettelt. Der Beamte Kafka zieht sich immer verzweifelter auf seine Paragrafen zurück. Danach gilt eine Hand nur als Hand, wenn sie fünf Finger hat.

Ein weiterer Anfangssatz, der ohne Umschweife in die Geschichte hineinzieht: „Als Gregor Samsa eines Morgens nach unruhigen Träumen in seinem Bett erwachte, fand er sich zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ hat viele Schriftsteller beeinflusst. Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez fühlte sich dadurch zu seinem Stil des magischen Realismus ermutigt. Welch ungeheuerliche Vorstellung aber auch, in einem Körper zu erwachen, der doch gar nicht zu einem gehört, der es einem unmöglich macht, mit seinen Mitmenschen zu sprechen?

Zertreten wie lästiges Ungeziefer
Im Fernsehfilm schaut Kafkas Familie durch einen Türspäher, um den verwandelten Sohn, dessen behaarte Insektenbeine unter dem Bett herausschauen, aus sicherer Distanz zu beobachten. Später wird man ihn zertreten, so wie es üblich ist mit lästigem Ungeziefer. Die Fantasie des schreibenden Staatsbeamten ist so unerschöpflich wie düster. In „Die Strafkolonie“ erfindet er eine Tötungsmaschine, die selbstständig foltert und die Leiche anschließend entsorgt. Und in „Das Schloss“ ist viel von Akten die Rede, Daten werden gesammelt und verwahrt – Kafka nimmt den Überwachungsstaat vorweg, den George Orwell viele Jahre später in „1984“ beschreiben wird.

Einen Schwerpunkt setzt die Serie auf Kafka und sein Verhältnis zu Frauen. Bis heute rätselt die Fachliteratur über seine sexuellen Neigungen, genüsslich werden Bordellbesuche mit seinen Freunden, darunter Franz Werfel und Max Brod, kolportiert. Die Zuneigung zu seiner Verlobten Felice Bauer zeigt sich dagegen eher platonisch – allein 350 Briefe, Karten und Telegramme schrieb er der jungen Frau zwischen 1912 und 1914, ohne sie je zu
heiraten.

Wie ein frischer Wirbelwind platzt dann die Tschechin Milena Jesenska in Kafkas Kosmos. Eigentlich als Übersetzerin seiner Werke ins Tschechische engagiert, ist sie nicht nur an seinem Werk interessiert. Eine Folge zeigt einen Spaziergang im Wienerwald, bei dem Milena ihren schüchternen Begleiter verführen will und die Knöpfe ihres Leibchens öffnet. Allein, der junge Mann bleibt spröde, rattert stattdessen die Zugverbindungen für die Rückfahrt herunter, inklusive der Umsteigebahnhöfe.

Milena, gespielt von Liv Lisa Fries, kriegt darauf einen Wutanfall, der es in sich hat: „Alle seien hilflos ins Leben verstrickt“, wütet sie. Nur er, Kafka, beuge sich einer einzigen Macht: „Dem beschissenen Zugfahrplan!“ Sie wird ihm verbunden bleiben, genauso wie später Dora Diamant, die einzige Frau, mit der er je zusammenleben wird. Dora ist auch bei ihm, als er am 3. Juni 1924 in einem Sanatorium außerhalb Wiens mit knapp 41 Jahren einer falsch behandelten Tuberkulose erliegt.

Kurz vor seinem Tod hatte der stets von Selbstzweifeln geplagte Kafka noch verfügt, dass sein gesamtes Werk verbrannt werden solle. Sein bester Freund Max Brod, gespielt von David Kross, versagt ihm diesen Wunsch. 1939, kurz vor dem Einmarsch deutscher Truppen nach Prag, gelingt es ihm, die Handschriften in einem Koffer nach Palästina zu retten. Nach 1945 schenkt er sie seiner Sekretärin, bei der sie allerdings nicht verbleiben durften. Der oberste Gerichtshof Israels sprach Kafkas Nachlass als „jüdischen Beitrag zur Weltliteratur“ der israelischen Nationalbibliothek zu.

Zum 100. Todestag läuft darüber hinaus aktuell auch ein Film über Kafkas letztes Lebensjahr in den Kinos: Die Herrlichkeit des Lebens mit Sabin Tambrea als Kafka und Henriette Confurius als Dora Diamant


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Peter Faethe am 31.03.24, 00:01 Uhr

Ich fülle eine hierzulande anscheinend obligatorische Informations-Lücke:
Die erste Werk-Ausgabe Kafkas erschien 1936 in Deutschland.

Kersti Wolnow am 25.03.24, 07:55 Uhr

Diese Art von Literatur verstehe ich (Germanistin) nicht, genausowenig wie die von Gogol und Bulgakow im Russischen, das ist eine völlig andere Denkweise, mir völlig fremd.
Ich begreife seit geraumer Zeit nur nicht, daß diese Art von Kunst, auch in der Malerei dermaßen hochgelobt und gehandelt wird, oder bin ICH der Sonderling?

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS