27.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Reportage

Wo der Bundespräsident Krone trägt

Zu Besuch bei der 110-jährigen Osteroderin Ida Enthof

Bernhard Knapstein
26.03.2024

Auf ihrer kleinen Stube im Seniorenheim Akazienhof in Coppenbrügge sitzt Ida Enthof, gestützt mit einer Hand am Griff des Rollators vor ihr, auf ihren Besuch wartend. Sie erwartet einen Journalisten der Preußischen Allgemeinen Zeitung sowie Sohn Heinz (86) und Enkelin Annalena (27). Das Zimmerchen der hochbetagten Dame ist spartanisch eingerichtet. Eine Bett, ein kleiner Tisch und zwei Stühle, eine kleine Anrichte. Auf der Anrichte stehen ein paar eingerahmte Bilder. Eines von ihrem Mann, der bei Stalingrad kämpfte und schließlich als vermisst gemeldet wurde. Daneben ein größeres Foto mit einer goldenen Pappkrone darüber ist ein Porträtbild von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Ein Geburtstagsgruß mit Widmung. Eine Besonderheit, denn Ida Enthof wurde am

7. September 1913 im Ort Königsgut, Kreis Osterode, bei Hohenstein geboren. Zur Verdeutlichung der zeitlichen Dimension: Als Klein-Ida das Licht der Welt erblickte, befand sich das deutsche Kaiserreich noch im Frieden mit dem Rest der Welt. Dass das amtierende Staatsoberhaupt jetzt Enthofs Geburtstagskrone trägt, passt ins Bild. Die 110-Jährige hat vier Staatssysteme, einen Kaiser, mehrere Reichspräsidenten, einen Führer und zwölf Bundespräsidenten miterlebt. Nun trägt eben Steinmeier die goldene Würde der Republik.

Vier Staatssysteme miterlebt
Enthof wuchs auf dem elterlichen Hof in Königsgut auf. Die Ortschaft liegt nahe Hohenstein. Der strenge Vater betrieb nicht nur einen kleinen Bauernhof, sondern auch die örtliche Poststation. Die Poststelle durfte Ida Enthof verwalten –eine besonders glückliche Erinnerung an die Zeit in Ostpreußen. „Da kamen die ganzen Leute mit ihren Paketen und Briefen.“ Die habe sie angenommen oder übergeben. Da die Poststelle später auch über ein Telefon verfügte, kam die Nachbarschaft regelmäßig auf dem Hof vorbei. Doch nicht nur die, denn unweit des Hofs befand sich während des Zweiten Weltkriegs das Kriegsgefangenenlager Stalag 1 B. Die Soldaten des Wachpersonals seien regelmäßig zum Telefonieren gekommen. Die Kinder durften dafür auch mal ins Kino im Lager, berichtet Heinz Enthof.

Viel von der Welt gesehen haben Ida Enthof und ihr sieben Jahre jüngerer Bruder nicht, noch nicht einmal größere Ausflüge habe man unternehmen können. „Zu viel Arbeit auf dem Hof“, erklärt sie. „Wir hatten einen Bauernhof mit wohl 70 Morgen Land, fünf Kühen und Schweinen. Und ich hatte ja noch die Post“, erzählt Enthof. Ab und zu sei die Familie mit der Kutsche des Sonntags nach Waplitz oder nach Osterode ausgefahren. Die Ostsee habe sie erstmals auf der Flucht in Pommern gesehen. Auch Bräuche sind der 110-Jährigen noch sehr präsent, wie etwa Schmackostern. Da habe man eine grüne Rute ins Wasser gestellt, sodass diese austreiben konnte. Am ersten Osterfeiertag bekam die Bauersfrau damit Hiebe an die Füße – ein Fruchtbarkeitsritual. „Ostern-Schmackostern. Grün-Ostern. Ein Eichen zu Ostern. Stück Kuchen, Stück Speck. Dann lauf ich gleich weg“, schießt mit einem schelmischen Lächeln der in Königsgut gebräuchliche Heischespruch aus Enthof heraus.

Die Ostpreußin heiratet, bekommt zwei Kinder. Dann beginnt der Krieg. Es ist wie in vielen Familien jener Zeit. Irgendwann wird ihr Mann, der mit der 6. Armee bei Stalingrad gekämpft hatte, als vermisst gemeldet. Die Rote Armee rückt näher. Als 1945 die Flucht ansteht, habe die damals 32-Jährige diese wie „belämmert“ erlebt. Sie schlief im Zug Richtung Pommern – und zu essen habe es auch „nichts Richtiges“ gegeben. Aufs Wasser habe sie mit ihren beiden Kindern nicht gehen wollen, man habe ja gehört, wie viele da ertrunken seien. Eher wäre sie bei den Polen und den Russen geblieben als auf ein Schiff zu steigen. „Nein, die Flucht war nicht gut“, schüttelt Enthof den Kopf. Doch in ihrem so unfassbar langen Leben ist selbst die Flucht nur ein kurzer Augenblick. „Aber naja, was soll das?“, winkt sie schließlich ab.

Familie Enthof kommt mit Nachbarn bis Pommern. In der Stadt Köslin erhalten sie eine Wohnung. Dann steht der Russe vor der Tür. Auch Sohn Heinz Enthof, damals sieben Jahre alt, hat das Rattern der Panzerketten noch im Ohr. Die Familie befindet sich mit anderen Menschen in einem großen Saal, als die Russen mit ihren Kalaschnikows eindringen, alle kontrollieren und mitgehen lassen, was ihnen brauchbar erscheint. „Aber man hatte ja sowieso fast gar nichts mehr,“ berichtet Enthof, da die Familie praktisch kaum mehr habe mitnehmen können auf die Flucht als das, was man am Leibe und in einem Köfferchen trug.

Erinnerung an die Flucht
In Pommern betätigt sich Ida Enthof mit dem Melken von Kühen. Das sei gar nicht so schlecht gewesen, weil so die Milchversorgung auch für die Familie gesichert gewesen sei. Wenn man Hunger hatte, „kam der Russe, erschoss ein Schwein und dann gab es wieder ein bisschen“, erinnert sich Heinz Enthof. Unter den Polen sei das dann schwieriger geworden. „Die hatten ja selber nichts und gingen nachts noch auf Raubzüge.“

Doch Ida Enthof will weiter nach Westen. Die Familie hat Verwandtschaft in Bad Münder südlich des Deisters. Irgendwann gelingt die Ausreise. Am 10. Oktober 1945 kommen die Enthoffs in Bad Münder im damaligen Kreis Springe an. Während ihre Eltern in der Sowjetischen Besatzungszone bleiben und bei Rostock fruchtbares Land zugewiesen bekommen, suchen Ida und ihr Bruder im Westen ihr Glück. Die Flüchtlinge werden im Westen gut aufgenommen. Erst als 1946 noch die Schlesier in Massen im Kreis Springe ankommen, wird es etwas unruhiger. Ida Enthof hilft auf einem Bauernhof mit, arbeitet später noch in einem Kinderheim, lebt dann aber vor allem von der Wohlfahrt. Lastenausgleich habe es auch nicht viel gegeben. „Nur ein paar hundert Mark“, berichtet Enthof.

Als Idas Bruder das Land seines Vaters in der SBZ sieht, macht er mit seiner Frau nach Osten rüber. „Damals sah es mit der Entwicklung da ja noch ganz gut aus“, berichtet Heinz Enthof. „Wer gut gewirtschaftet hat, dem ging es gut.“

Gegen Ende des Gesprächs wirkt Ida Enthof in sich gekehrt, vielleicht auch ein wenig müde vom Gespräch mit dem Journalisten und den vielen Erinnerungen von schönen Tagen in Königsgut und harten, auch von Schicksalsschlägen. 110 Jahre sind nicht jedem vergönnt. Ida Enthof gehört zu den letzten Deutschen, die davon noch berichten können. Und so hat auch Enkelin Annalena den Ausführungen der Großmutter und des Vaters fasziniert zugehört.


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Berlin 59 am 26.03.24, 20:08 Uhr

Sehr interessante Lebensgeschichte, viel mehr geht nicht.
Alles gute, viel Gesundheit und noch viele glückliche Jahre im Kreis ihrer Familie, wünscht Ihnen ein Berliner.

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS