Nun also doch
Gegen »Rechts«: Linke korrigieren ihre kritische Haltung zu bundesdeutschen Geheimdiensten

Im linksgrünen Spektrum gehörte die Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes lange Zeit zum politischen Standardprogramm. Inzwischen ist aber immer öfter auch der Ruf zu hören, der Verfassungsschutz solle noch aktiver werden.
Erst vor Kurzem hat sich die Fraktion der Grünen im Potsdamer Landtag für eine Verfassungsschutz-Beobachtung des Vereins „Zukunft Heimat“ ausgesprochen, der in Cottbus mehrfach Demonstrationen organisiert hatte, die auf viel Resonanz in der Bevölkerung gestoßen sind. Die Grünen bezogen sich dabei auf eine Kleine Anfrage, die sie an die Landesregierung gestellt hatten. Brandenburgs SPD-geführtes Innenministerium hatte in einer Antwort von Zweifeln gesprochen, dass der Verein sich hinreichend gegenüber „rechtsextremistischen Ansichten und Bestrebungen“ abgrenze.
Ursula Nonnemacher, innenpolitische Sprecherin der Grünen, folgerte: „Wenn bezüglich eines Vereins solche Zweifel bestehen, handelt es sich um einen klassischen ,Verdachtsfall‘ für den Verfassungsschutz.“ Der Ruf nach dem Geheimdienst hat nicht nur in Brandenburg derzeit Konjunktur. Unter anderen hatte sich Volker Kauder (CDU), Chef der Bundestagsfraktion der Union, für eine Beobachtung einzelner AfD-Mitglieder ausgesprochen. Auch Heiko Maas (SPD) sprach noch in seiner Zeit als amtierender Justizminister davon, Teile der AfD seien längst auf dem Weg, „ein Fall für den Verfassungsschutz zu werden“.
Speziell mit Blick auf die Geschichte des Bundeslandes Brandenburg ist der Ruf nach dem Verfassungsschutz bemerkenswert. Als der Dienst 1991 seine Arbeit aufnahm, waren ihm enge Fesseln angelegt worden und wurde die Arbeit des Nachrichtendienstes sehr kritisch gesehen.
Bis zum Jahr 1993 verbot ein Vorschaltegesetz beispielsweise in Brandenburg kategorisch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie etwa die Zusammenarbeit mit V-Leuten. Der Verzicht auf ein eigenes Landesamt für Verfassungsschutz und die Ansiedlung als Abteilung V im Innenministerium sollte zudem die Möglichkeit für eine enge politische Aufsicht schaffen.
Erst mit dem im April 1993 in Kraft getretenen Verfassungsschutzgesetz durfte Brandenburgs Nachrichtendienst, die Abteilung V des Innenministeriums, auf Mittel zurückgreifen, die auch anderen Verfassungsschutzbehörden in Deutschland zur Verfügung stehen.
Diese Beschränkungen in der Anfangsphase waren zum einen durch die noch frischen Erfahrungen mit der DDR-Staatssicherheit geprägt, politisch sprach sich die in einer Ampelkoalition mitregierende Partei Bündnis 90/Die Grünen gegen nachrichtendienstliche Mittel wie den Einsatz von V-Leuten aus. Brandenburgs Grüne Jugend forderte sogar noch im Jahr 2014 die Abschaffung des Verfassungsschutzes.
Ähnlich die Linkspartei, die auf ihrem Bundesparteitag in Hannover im Juni 2017 die Forderung nach Abschaffung aller Geheimdienste zu einem Punkt in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl machte: „Durch ihre Intransparenz und Vorrang des Schutzes von Informantinnen und Informanten behindern sie polizeiliche Ermittlungen und juristische Aufklärung“, so das Wahlprogramm der Linkspartei. Fragen, wie weit der Verfassungsschutz bei der Arbeit mit Informanten und V-Leuten gehen kann, soll der NSU-Untersuchungsausschuss des Brandenburgischen Landtages klären.
Zentrale Figur ist dabei der Umgang mit Carsten Sz., der nach offizieller Darstellung ab Sommer 1994 unter dem Decknamen „Piatto“ Informant der Abteilung V des Brandenburgischen Innenministeriums gewesen sein soll. Bundesweit beachtet wurde „Piatto“ vor allem durch seine Hinweise zum untergetauchten NSU-Trio.
Bereits im Herbst 1998, also wenige Monate nach ihrem Abtauchen in die Illegalität, soll „Piatto“ Informationen über das Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe geliefert haben. Verdichtet haben sich inzwischen die Hinweise, das „Piatto“ damals auch ganz konkret den Hinweis lieferte, das Trio verstecke sich in Chemnitz.
Vor Kurzem waren mehrere Zeugen vor den Untersuchungsausschuss geladen, die als Nachrichtendienstler mit der Quelle „Piatto“ zu tun gehabt hatten. Angehört wurde etwa ein damaliger Verfassungsschutzmitarbeiter, der im Jahr 1994 die ersten Gespräche mit Carsten Sz. geführt haben soll.
„Manfred Maslow“, so der damalige Arbeitsname des Zeugen, berichtete, dass Carsten Sz. bereits bei seinem zweiten Treffen umfangreiches Material übergeben habe, welches dem Dienst neue Einblicke in die Neonazi-Szene bot. Dazu gehörten Informationen über Versuche, hierzulande Ableger des US-amerikanischen Ku-Klux-Klan zu etablieren.
Ebenso habe der Informant Hinweise über Verbindungen der Szene zur Russenmafia geliefert. Ein anderer Verfassungsschützer sagte aus, die Quelle „Piatto“ habe später mitgeholfen, Straftaten zu vereiteln oder Gruppierungen wie die „Kameradschaft Oberhavel“ verbieten zu können.
Deutlich wurden jedoch auch die Grenzen der Arbeit mit V-Leuten: Im Jahr 2000 stieg die Quelle „Piatto“ bis in den NPD-Landesvorstand Berlin-Brandenburg auf. Ein Verbotsverfahren gegen die NPD scheiterte im Jahr 2003, weil auch in der Führungshierarchie der Partei diverse V-Leute wie etwa „Piatto“ aktiv waren.
Hermann Müller

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