27.04.2024

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Ukrainekrieg

Der lange Weg zur Akzeptanz eines unvermeidlichen Endes

Trotz aller Beschwörungen wird immer offensichtlicher, dass die Ukraine den Krieg gegen ihr Land militärisch nicht gewinnen kann. Die Geschichte lehrt indes, dass eine Aufgabe auf dem Schlachtfeld nicht das Ende eines Landes ist

René Nehring
13.03.2024

Die Wortmeldung kam einem Tabubruch gleich. In einem Interview mit dem Schweizer Sender RSI forderte Papst Franziskus, die Ukraine solle angesichts der Lage auf den Schlachtfeldern den Mut haben, die „weiße Fahne“ zu hissen, und ein Ende des Krieges mit Russland anstreben. „Wenn man sieht, dass man besiegt wird“, so der Heilige Vater, „dass die Dinge nicht gut laufen, muss man den Mut haben zu verhandeln.“

Damit positionierte sich der Papst gegen die in der westlichen Welt vorherrschende Auffassung, dass Russland mit seinem Angriff auf die Ukraine und gegen die europäische Nachkriegsordnung auf keinen Fall durchkommen dürfe und die Ukraine den Krieg deshalb unbedingt gewinnen müsse. Franziskus stellte dieser Haltung die Frage entgegen, wie viele Tote der Krieg am Ende gefordert haben wird, und sagte in Richtung der Ukrainer, sie sollten sich nicht schämen, „zu verhandeln, bevor es noch schlimmer wird“.

Die Reaktionen kamen prompt – und fielen in Deutschland überwiegend negativ aus. Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) erklärte: „Wer von der Ukraine verlangt, sich einfach zu ergeben, gibt dem Aggressor, was er sich widerrechtlich geholt hat, und akzeptiert damit die Auslöschung der Ukraine.“ Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter schrieb auf der Internetplattform X: „Unglaublich, das Oberhaupt der katholischen Kirche stellt sich auf die Seite des Aggressors.“ Und die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gab an, sich „als Katholikin zu schämen“.

Dass sich indes auch in Deutschland der Blick auf den Ukrainekrieg wandelt, zeigt ein Artikel von Gabor Steingart, Herausgeber des Onlinedienstes „The Pioneer“. In einem Beitrag für den „Focus“ machte er sechs Gründe aus, die dafür sprächen, „dass der Westen den Krieg verloren gibt und versuchen wird, sich mit Wladimir Putin zu arrangieren“. Neben der Erschöpfung der Ukraine nennt er das Scheitern der Isolationsstrategie gegen Russland, den Wechsel in der Ausrichtung der USA, die Haltung des Bundeskanzlers, eine Eskalation zuzulassen, die Spaltung des konservativen Lagers und nicht zuletzt das Interesse der europäischen Wirtschaft, am Wiederaufbau der Ukraine schon bald mitverdienen zu können.

Wer sich die Aussagen des Papstes und Steingarts ansieht und diese den Äußerungen von Göring-Eckardt, Kiesewetter und Strack-Zimmermann gegenüberstellt, erkennt unschwer, dass die einen davon motiviert sind, wie die Lage ist – und die anderen davon, wie sie die Lage gern hätten.

Eine militärische Niederlage wäre nicht das Ende der Ukraine
Ein grundsätzliches Problem in der Argumentation der drei Letztgenannten – und vieler anderer, die allesamt auch zu den Befürwortern von Lieferungen des „Taurus“-Waffensystems an die Ukraine gehören – ist, dass es keine Option für eine Verbesserung der Lage der Ukraine, geschweige denn einen Sieg gibt. Zwar könnten die ukrainischen Streitkräfte den russischen Invasoren mit „Taurus“-Raketen einige heftige Schläge wie die Zerstörung der Brücke von Kertsch zufügen und sie möglicherweise auch noch eine ganze Weile in ihrem Vormarsch aufhalten, doch könnten sie damit nicht das zu ihren Ungunsten bestehende Missverhältnis in der Zahl der Soldaten und der zur Verfügung stehenden Munition sowie auch nicht die bestehende russische Lufthoheit wettmachen.

Zur falschen Annahme, dass sich mit stärkeren Waffen das Kriegsgeschehen wenden ließe, kommt ein weiterer Denkfehler – nämlich, dass eine militärische Niederlage das dauerhafte Ende eines Staates bedeutet. Dabei liefert die Geschichte unzählige Beispiele dafür, wie Länder selbst nach katastrophalsten Niederlagen schon bald neue Aufschwünge erlebten. Der Historiker Wolfgang Schivelbusch steigt in sein Buch „Die Kultur der Niederlage“ mit dem „Untergangs- und Neugründungsmythos“ Troja ein, das fast vollständig ausgelöscht war und doch in der Person des Aeneas, der nach Italien fliehen konnte, zur Keimzelle Roms wurde.

Gerade die jüngere Geschichte hat gezeigt, dass Verlierer historischer Ereignisse und Entwicklungen schnell zurückkehren können, sofern sie aus Rückschlägen die richtigen Schlüsse ziehen. Deutschland etwa verlor in zwei Weltkriegen mehr als ein Drittel seines Staatsgebietes. Nach dem Ersten Weltkrieg sann es auf Revanche und erlebte daraufhin im Zweiten Weltkrieg einen Beinahe-Untergang. Heute ist es das politisch und ökonomisch bedeutendste Land Europas.

Das im Falle der Ukraine naheliegendste Beispiel ist der Zerfall des Warschauer Pakts und anschließend der Sowjetunion 1989/91. Mit der Unabhängigkeit der Ostblockstaaten sowie der vormaligen Sowjetrepubliken wurde der Einflussbereich Moskaus zum Teil über 2000 Kilometer zurückgedrängt. Für die russische Politik war dieser Rückzug nicht nur eine Schmach – die umso größer war, als die Rote Armee weitestgehend kampflos abziehen musste –, sondern er brachte unzählige Konflikte mit sich, die bis heute anhalten. Gleichwohl erlebten die Russen in den Jahren vor dem Ukrainekrieg einen zuvor nicht gekannten Aufschwung und Wohlstand.

Eine militärische Niederlage muss also keineswegs das Ende der Ukraine bedeuten. Ohnehin dürfte es für die Ukrainer lohnender sein, die immer noch vorhandene Unterstützungsbereitschaft des Westens eher in den Wiederaufbau des Landes zu lenken als in die Fortsetzung eines Krieges, den sie nicht gewinnen können.

Dass zu einer politischen Lösung auch der Kriegsgegner bereit sein muss, ist eine Binsenweisheit. Fakt ist, darauf hat diese Zeitung wiederholt verwiesen, dass auch für Russland der Krieg keineswegs positiv verläuft, womit ein Interesse an einem baldigen Ende auch auf russischer Seite denkbar erscheint. Fakt ist aber auch, dass die Alternative zu einem Verhandlungsfrieden kein ukrainischer Triumph über Russland und dessen Präsidenten sein würde – sondern das lange, aber sichere Ausbluten der Ukraine.


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Kommentare

sitra achra am 13.03.24, 18:24 Uhr

Wird auch Zeit. Dann können Nordstream 1 und 2 wieder repariert und in Betrieb gesetzt werden. Wär' ja noch schöner. Damit können wir den Amis und den Polen eine lange Nase drehen. (Ironie off)

Michael Holz am 13.03.24, 13:59 Uhr

Das große Karthago führte drei Kriege. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr aufzufinden.
Bertolt Brecht

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