27.04.2024

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EU-Mercosur-Abkommen

Frankreich und Deutschland sind sich wieder uneins

Berlin sucht Märkte für seine (noch) wettbewerbsfähige, große Industrie – und Paris Schutz für seine bedeutende, kaum wettbewerbsfähige Landwirtschaft

Hermann Müller
20.02.2024

Ob Lieferkettengesetz oder Einführung von Frauenquoten in Aufsichtsräten – die deutsche Regierung sieht sich immer öfter dem Vorwurf ausgesetzt, EU-Projekte auszubremsen. Beim Vorhaben der EU, eine Freihandelszone mit der südamerikanischen Zollunion Mercosur zu bilden, ist es jedoch nicht die Ampelregierung, die auf Blockade geschaltet hat.

Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag hatte die EU bereits zur Jahrtausendwende mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay aufgenommen. Diese Staaten bilden seit 1991 eine gemeinsame südamerikanische Zollunion. In der EU und den Mercosur-Staaten leben insgesamt mehr als 715 Millionen Einwohner. Kommt das Assoziierungsabkommen mit der EU zustande, entsteht eine der größten Freihandelszonen.

Bereits 2019 haben die EU und die Mercosur-Staaten eine grundsätzliche Einigung erzielt. Die Bundesregierung hält den vorliegenden Entwurf für unterschriftsreif. Ausgehandelt haben beide Seiten, dass für rund neun Zehntel aller Waren, die zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken gehandelt werden, die Zölle abgeschafft werden sollen. Strittig ist derzeit noch eine Zusatzerklärung über Umweltauflagen für die Landwirte der beteiligten Länder. Erst wenn diese zustande gekommen ist, kann in allen 27 EU-Staaten die Ratifizierung des Vertrags starten.

Bauernproteste in Frankreich
Anfang Februar wurden die Meinungsverschiedenheiten zwischen Berlin und Paris zum Mercosur-Handelsabkommen in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Gelegenheit dazu bot der Antrittsbesuch des neuen französischen Premiers Gabriel Attal in Berlin. Auf der Pressekonferenz zum Abschluss des Antrittsbesuchs Attals sagte Bundeskanzler Olaf Scholz mit Blick auf das Freihandelsabkommen: „Dass man das Gefühl hat, die Verhandlungen sollten nach 20 Jahren fertig werden und dass man das auch wünscht, ist nicht erstaunlich.“ Frankreichs Regierungschef erklärte dagegen in der Bundeshauptstadt zum Vertrag mit den Südamerikanern: „Wir sind uns einig darin, uneinig zu sein.“

Verständlich wird die Haltung Attals vor dem Hintergrund der massiven Proteste französischer Landwirte. Bei ihren Demos spielt das geplante Abkommen der EU mit den Mercosur-Ländern eine viel größere Rolle als bislang bei den Protesten deutscher Landwirte. Vor allem französische Rinderzüchter fürchten eine Konkurrenz durch Fleischimporte aus Südamerika. Nachbesserungsbedarf sieht offenbar auch Wirtschaftsminister Bruno Le Maire: Das Abkommen sei „so, wie es jetzt ist, nicht gut für unsere Bauern“. Auch Präsident Emmanuel Macron hat vor Kurzem deutlich gemacht, dass er das Handelsabkommen ablehnt.

Gegenwind aus Argentinien
Die EU-Kommission muss fürchten, dass sich die Proteste der Bauern wenige Monate vor den Europawahlen zu einem europaweiten Flächenbrand ausweiten. Über Deutschland und Frankreich hinaus protestieren mittlerweile auch Bauern in Spanien, Italien, Belgien, den Niederlanden, Griechenland, Rumänien, Ungarn und Polen gegen die Brüsseler Agrarpolitik, den „Green Deal“ und die Agrarimporte aus der Ukraine. Zusätzliche Konkurrenz durch südamerikanische Agrarexporte könnte die ohnehin aufgeheizte Stimmung weiter eskalieren lassen.

Die Befürchtungen der Landwirte, dass sie die Verlierer des EU-Handelsabkommens mit Südamerika sein werden, sind nicht von der Hand zu weisen. Selbst das Bundeswirtschaftsministerium räumt in einer Darstellung zum Assoziierungsabkommen beispielsweise ein, dass „die Mercosur-Staaten bei Rindfleisch, Zucker, Ethanol und Geflügel sehr wettbewerbsfähig“ sind und die EU-Landwirtschaft auch vor Herausforderungen gestellt wird. Als Pro-Argument führt das Ministerium an, dass durch das Abkommen „die EU und Deutschland auf Jahre hinaus einen privilegierten Marktzugang“ erhalten und damit auch die deutsche Agrar- und Lebensmittelindustrie weitgehend zollfrei nach Südamerika exportieren kann. Die Landwirte in der EU dürften diese Aussichten allerdings kaum beruhigen. Sie werden bei Produkten wie Rindfleisch, Geflügel oder Zucker die Wettbewerbsstärke der Südamerikaner zu spüren bekommen. Von den Chancen, nämlich den Exportmöglichkeiten nach Südamerika, etwa bei Pestiziden oder verarbeiteten Lebensmitteln, dürfte vor allem die europäische Industrie profitieren.

Gegenwind bekommt das Handelsabkommen mittlerweile auch aus Südamerika. Argentiniens neuer Präsident Javier Milei hatte bereits im Wahlkampf erklärt, das Mercosur-Bündnis, sei „eine mangelhafte Zollunion, die den aufrechten Bürgern in Argentinien schadet“. Milei signalisierte sogar, dass Argentinien den gemeinsamen südamerikanischen Mercosur-Markt verlassen könne, wenn es nicht gelänge, einen „größeren, besseren Mercosur“ zu schaffen.


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Kommentare

sitra achra am 26.02.24, 18:16 Uhr

Seitdem Großbritannien die EU verlassen hat, gerät das europäische Schiff ins Schlingern. Die Franzosen kochen wohlgemut ihr gallisches Süppchen, während Deutschland offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Führungsposition in der Gemeinschaft einzunehmen und die nötigen Anweisungen an diesen Hühnerstall auszugeben, damit der Laden wieder Fahrt aufnimmt und in eine zukunftsfähige Bahn geleitet wird. Aber es ist noch nicht zu spät. Im Merzen der Bauer...

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