27.04.2024

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Bekenntnisgeneration

Späte Beschäftigung mit der Heimat der Eltern

Astrid Leiterer erzählt die Geschichte ihrer Familie vor dem Hintergrund von Weltkriegen, Teilungen und Vertreibungen

Karlheinz Lau
19.03.2024

Das Bemerkenswerte an dem Buch „Der bittere Duft des Flieders“ ist die Autorin, geboren 1961 in Jena. Sie ist also keine Vertriebene aus dem deutschen Osten, sondern sie zählt zur Bekenntnisgeneration. In ihrem Fall bekennt sie sich zur Heimat ihrer Vorfahren in Ostpreußen, konkret zum nordöstlichen Teil, der, im Bereich der Flüsse Memel, Gilge und Ruß, heute aufgeteilt ist zwischen der Republiken Litauen und der russischen Exklave Kaliningrad.

Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war das gesamte Gebiet Teil der preußischen Provinz Ostpreußen. In den Innenseiten des Einbandes findet der Leser Karten des ungeteilten Ostpreußen und des nordöstlichen Teiles mit der Lage der Ortschaften, in denen die handelnden Personen des Buches bis zur endgültigen Vertreibung Ende des Zweiten Weltkrieges lebten. Diese Karten sind eine wichtige Hilfe für die Lektüre.

Ungewöhnlich ist auch die Gliederung des gesamten Textes in 116 Abschnitte, im Durchschnitt zwei bis drei Seiten lang mit Überschriften, die auf den Inhalt hinweisen. Diese folgen der Chronologie nach von Anfang des 19. Jahrhunderts bis in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch diese Form unterstützt den Leser, zumal er nach Interesse seine Schwerpunkte auswählen kann.

Weckruf war eine Reise mit den Eltern in deren Heimat
Eine Reise 2008 mit ihren Eltern nach Ostpreußen war der Weckruf, so die Autorin, sich mit Land und Leuten, speziell mit der Geschichte und dem Schicksal ihrer Vorfahren zu beschäftigen. Dies ist die Botschaft, die Astrid Leiterer mit ihrem Buch übermitteln möchte: Ostpreußen ist Teil der deutschen Geschichte, die nicht verlorengehen darf.

Dazu gehören auch die Entwicklungen seit 1945 sowie die Schicksale der vertriebenen Bewohner und ihrer Nachfahren. Das rechtfertigt die Fragestellung „Deutschlands historischer Osten – verblassende Erinnerung oder Wiederentdeckung?“ für das Geschichtsbewusstsein der gegenwärtigen und künftigen Generationen.

Unter den Eindrücken der Ostpreußen-Reise begann die Autorin gründliche Recherchen im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis nach persönlichen Erinnerungen an die Heimat und die Ereignisse, die zum unfreiwilligen Verlust ihrer gewohnten Umgebung führten, an die schrecklichen Erlebnisse von Flucht und Vertreibung bis hin zu der Ankunft in Restdeutschland. Sie wertete verbliebene Dokumente, Briefe und niedergeschriebene Erinnerungen aus. Sicher fand sie in den vielen Materialien auch Fotos von Personen, von Landschaften oder Bauwerken, welche die Texte anschaulicher gestaltet hätten. Die Summe der gewonnenen Erkenntnisse, Informationen und eigenen Erfahrungen formten bei Leiterer das Bild von Ostpreußen, das erhalten bleiben muss.

In ihrem Buch berichtet sie über die Lebenslinien von drei Familien und deren Nachfahren aus dem Nordosten Ostpreußens. Zeitlich beginnt die Darstellung in den Jahren der napoleonischen Befreiungskriege Anfang des 19. Jahrhunderts und führt über die Schicksalsjahre für Ostpreußen im Ersten und Zweiten Weltkrieg bis in unsere Gegenwart.

Hervorheben muss man die korrekten Darstellungen der prägenden historischen Ereignisse für die Menschen und das Land wie Weltkriege, Teilungen und Vertreibungen. Diese sehr sachlichen Passagen werden eingebettet in die Schilderungen des Alltags der Menschen auf dem Lande, ihrer Probleme, Hoffnungen und Wünsche.

Es werden aber auch sehr detailliert die ländliche Umgebung, Felder, Wiesen und Wälder, Bauwerke wie Kirchen – die Menschen waren tief religiös – und vor allem die langen und strengen Winter und wie die Landbewohner gegen sie ankämpften, beschrieben. Ein eindrucksvolles Beispiel bieten die Beiträge über den Forst Ibenhorst, nahe dem Kurischen Haff. Das Landleben wird in einer Weise so genau nachgezeichnet, dass man vermutet, die Autorin war nicht nur auf einer Reise in der Heimat ihrer Vorfahren.

Landleben in historisch bewegten Zeiten
Ein Strauch weißen Flieders wird zu einem Symbol der Erinnerung an das Land der Vorfahren. Die Zeiten friedlichen Zusammenlebens in den Dörfern waren mit den Ereignissen und Folgen des Ersten Weltkrieges beendet, mit dem Einfall der zaristischen Armee und der Trennung des Landes vom Reich durch den Versailler Vertrag. Die ganzen Schrecken von Flucht und Vertreibung, von Verbrechen, Tod und Vergewaltigungen sowie die Rücktransporte in das besetzte Restdeutschland werden aufgezeichnet, wie sie in unzähligen Erinnerungen Vertriebener bereits dokumentiert wurden.

Die Lebensläufe der Familien waren schon lange durch die Jahrzehnte getrennt, endeten an verschiedenen Orten der DDR. Das Schlusskapitel bietet einen berührenden Bericht über eine Reise in die Heimat. Die Sprache der Darstellung ist gut verständlich und wird aufgelockert durch den ostpreußischen Dialekt und auch Begriffe der ursprünglich prußischen Bewohner.

Das Buch ist zu empfehlen für Heimatvertriebene, ihre Nachfahren sowie für jeden an der Geschichte Interessierten und insbesondere die jüngeren Generationen.

Astrid Leiterer: „Der bittere Duft des Flieders“, Mauk Verlag, Jena 2023, gebunden, 382 Seiten, 29,90 Euro


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